Finsteres Spiel

Das erotische Nichts bei Salvador Dalí

Der Bereich »Erotik in der Kunst« ist ein schwüles Terrain. Zahlreiche Autoren und Verleger haben sich daran versucht, unübertroffen jedoch ist immer noch die Illustrierte Sittengeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart des Eduard Fuchs. Für das 20. Jahrhundert sei hingewiesen auf den von Lo Duca herausgegebenen (längst vergriffenen) Band über Die Erotik im 20. Jahrhundert (Basel 1967) aus der Reihe Bibliothèque Internationale d'Érotologie (ja, sowas gab's mal!) oder die Moderne Enzyklopädie der Erotik in zwei Bänden (München, Wien, Basel 1963). Diesen Spezialitäten lag eine Karte bei mit folgender Verpflichtungserklärung: «Ich versichere, daß ich volljährig bin und verpflichte mich durch meine Unterschrift, den Band DIE EROTIK IM 20. JAHRHUNDERT verschlossen aufzubewahren und ihn keinem Jugendlichen unter 21 Jahren noch einer anderen Person zugänglich zu machen, von der ich annehmen muß, daß sie nicht die erforderliche Reife besitzt, um dieses Buch objektiv bewerten und beurteilen zu können.»

Nun zeigt die Tatsache, daß dem Exemplar, das ich antiquarisch erworben habe, diese Karte noch jungfräulich beilag, daß die Verpflichtung so ernst nicht genommen wurde. Schließlich befand man sich in den sechziger Jahren auf dem besten Wege zu einer «sexuellen Revolution», die allerdings längst zu einer ermüdenden Konsumerotik verkommen ist. Die Gründe hierfür liegen schon in den zwanziger und vor allem dreißiger Jahren. «Die Schönheit», hat Salvador Dalí gesagt, «ist nichts als die Summe des Bewußtseins unserer Perversionen.» Und: «Die Schönheit wird eßbar sein oder gar nicht sein.» Man findet hier den Ursprung einer Haltung, die Peter Gorsen als die «Kommerzialisierung des Lustprinzips» bezeichnet hat.

Dalí malte 1929 ein Bild mit dem Titel Le Jeu lugubre, das selbst unter den skandalträchtigen Surrealisten einen Skandal provozierte. Er, der sich als den einzig wahren Surrealisten bezeichnete, hatte zumindest insofern recht, als er die letztlich bürgerliche Grundhaltung seiner zeitweiligen Freunde, wie sie sich auch in den Recherches sur la sexualité in der Zeitschrift La Révolution Surréaliste äußerte, bloßstellte. Stein des Anstoßes war eine männliche Rückenfigur im rechten unteren Eck des Bildes, deren Hosen mit Kot beschmutzt waren. Im selben Jahr 1929 blieb Gala, damals noch die Frau des Dichters Paul Eluard, zum ersten Mal bei Dalí in Cadaqués. Gala gegenüber verwahrte sich Dalí heftigst gegen den ihm gemachten Vorwurf der Koprophagie: «Ich schwöre Ihnen, daß ich kein Koprophage bin. Ich verabscheue diese Abirrung ebenso rückhaltlos wie Sie. Aber ich betrachte das Skatologische als Schockelement, genau wie Blut oder meine Heuschreckenphobie.»

In der Tat lebte Dalí seine Perversionen hauptsächlich in seinen Bildern aus. Gala soll nach seiner eigenen Aussage die einzige Frau gewesen sein, mit der er jemals geschlafen habe. Luis Buñuel, eine Zeitlang sein enger Freund, bestätigt: «Gala ist die einzige Frau, mit der er richtig geschlafen hat. Hin und wieder hat er auch andere Frauen charmiert, amerikanische Millionärinnen vor allem, aber er begnügte sich dann etwa damit, sie in seiner Wohnung zu entkleiden, zwei Spiegeleier zu braten, sie ihnen auf die Schultern zu applizieren und sie dann ohne ein weiteres Wort wieder wegzuschicken.»

Dalís finsteres Spiel blieb letztendlich in der Phantasie oder erschöpfte sich in Voyeurismus. Seine Technik bestand in eben der Nicht-Verwirklichung seiner Vorstellungen: «Ich stelle mir die kompliziertesten erotischen Raffinessen, die kunstvollsten Kombinationen, die auf köstliche Art unmöglichen Stellungen vor und bin bereit, Millionen für Dinners, Wege, Einladungen, Kostüme, Beleuchtung, Dekorationen auszugeben. Aber mein glühendstes Begehren ist es, daß nichts geschieht. Nichts!»

Was von Dalí noch als subversive Aktion bzw. Nicht-Aktion gedacht war, ist mittlerweile die Regel. Allenthalben wird mit erotischen oder direkt sexuellen Reizen geworben, aber was passiert? Nichts. Als Ersatzhandlung soll der Konsum dienen. Auch hier gibt es eine Maxime Dalís, die dem ganzen Betrieb den Garaus machen würde, beherzigte man sie: «Ich bin mit meinem Sperma so geizig wie mit meinem Gold.»

Ivo Kranzfelder

Laubacher Feuilleton 14.1995, S. 7
 
Fr, 24.04.2009 |  link | (2353) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kunst und Gedanken






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