Das helle Feld

R. S. Thomas

Eines erbat ich
vom Richter für Fragen
des Lebens: daß die Wahrheit sich der Schönheit
füge. Das wurde nicht gewährt.


Daß man jenseits aller Verabschiedungsgesten und moderner Überbietungsästhetik immer noch Liebesgedanken, Technikskepsis, religiöse Themen und Naturbilder in Lyrik fassen kann, ohne langweilig oder redundant zu sein, mag erstaunen. Und doch gibt der Auswahlband des walisischen Dichters R. S. Thomas hierfür einige Hoffnung.

Die Bandbreite seiner Themenbereiche erfordert verschiedenste Termini, die ihren je eigenen Stimmungshorizont mitbringen. Gelegentliche naturwissenschaftliche Begriffe wirken in den Gedichten schroff ihrer Umgebung gegenübergesetzt, stehen aber doch nicht dilettantisch da; sie behalten ihren Eigenwert und fügen sich dennoch in den Kompositionsduktus. Die Übersetzung (von Kevin Perryman) arbeitet diese Kontraste genau heraus, bindet sie aber stilistisch ebenso wie das Original in einen übergreifenden Zusammenhang, der gleichwohl unabgeschlossen, stets auf der Suche bleibt und jeden Jargon der Eigentlichkeit durch Aussparungstechnik vermeidet. Sicherlich ist dabei ein ‹Deus absconditus› im Spiel, wie der Übersetzer im Nachwort bemerkt, ein verborgener Gott in einer leeren Kirche, aber es ist auch ein von Rationalitäts- und Fortschrittswahn verstoßener. Darüber wird nicht nur die Natur zum letzten Statthalter Gottes, sondern die Welt wird selbst zum Buch, romantische Universalpoesie fortschreibend. Die Skepsis gegenüber blindem Fortschrittswahn und Technik wird offenkundig, die Angst vor der Maschine geht manchmal so weit, daß sogar das Gedicht zum Apparat mit Formzwängen zu werden droht.

Die Lyrik Thomas' entkommt jedoch jeder Mechanik, indem sie auf eigenwilligen Enjambements besteht, mit in der Strophe unvollständigen Verbkonstruktionen nach der nächsten Strophe greift.

Die konkret benannten Dinge sind eigentümlich in der Schwebe gehalten — dies spiegelt sich auch in der harten Fügung der Satzteile, ihren gelegentlichen Verstößen gegen die konventionalisierte Sprache, in der unterbrochenen Satzmelodie und gelegentlichen Rhythmusstörungen, wie sie auch die Übersetzung geschickt wiedergibt. Die Dinge sind sublim, ohne doch die Härte ihrer Kanten zu verlieren. Eine knappe Wendung mag dies verdeutlichen: «während die Luft zerfiel/so großzügig über mir gebrochen wie Brot». Das Abendmahlsmotiv klingt an, kühne Attributierungen werden vorgenommen, doch wirkt auch der distante Vergleich von Luft und Brot nicht holprig, sondern erzwingt den Versuch, das Bild nachzuvollziehen: die Luft wird zum harten Gegenstand ummarkiert, das Brot hingegen verliert alle Schwere. Immer ist die Leichtigkeit der Vorstellungen an die Schwere der Dinge gebunden, ganz verwandt der Lyrik des Amerikaners William Carlos Williams und dessen Credo: «no ideas but in things».

Wenn die Kritik von einer «schönen Balance zwischen Emotion und Nüchternheit» spricht (Harald Hartung in der FAZ), so müßte man doch noch genauer sagen: es handelt sich um eine Nüchternheit, die in darstellerischen Diensten der Emotion steht. Um diese zu retten — und Thomas hat genug Gespür dafür, daß das pure Schwelgen nicht mehr geht —, ist der Stil lakonisch zurückgehalten, auf Knappheit reduziert, voll von abrupten Brechungen, von unaufgelösten Paradoxa, in denen sich permanenter Zweifel äußert. Und auch dieser Ton wird in der Übersetzung genau getroffen, die sich nicht gegenüber dem Original profilieren will, sondern dessen Fülle und Skepsis zugleich evoziert. Wenn auch manchmal die Szenen zum Idyll tendieren («eternity is here in this small room»), sind sie fast nie in der Gefahr, zu verkitschen.

Ein guter Teil der Gedichte handelt von der strömenden Beziehung zu einem Du, verfällt aber nicht in den Fehler der direkten Anrede (wie ihn noch Benn in seiner Marburger Rede über Lyrik markiert hatte). Der weibliche Körper kann Verwandlungen an Dingen vornehmen, Körperworte sprechen — die Frau wird zur Dichtung, die dann den Weg in das Buch zurücknimmt und zum Wortkörper wird: «from the familiar prose/of her body make his way back/to his book». Das Titelmotiv des Gedichtbandes, das «helle Feld» läßt sich derart auch metapoetisch lesen als unbeschriebener Grund, als leere Haut, vielleicht als «page blanc» im Sinne Mallarmés, als papierner Fluchtpunkt von Hoffnungen. Gerade dieser körperliche Aspekt von Sprache läßt es passend erscheinen, daß das Buch selbst sein Material thematisiert mit Büttenumschlag, roh belassenen Papierkanten oder bedachtsam gewählter Drucktype.

Ralph Köhnen

Laubacher Feuilleton 19.1996, S. 12

Die Photographie ist ausgeliehen vom R. S. Thomas Study Center © Bangor University.

 
Do, 02.04.2009 |  link | (1430) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schrift und Sprache






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