Fleischeslust

Der Wahnsinn brachte Mc Donald's auf die gelbe Rübe. Das Motiv paßte ebenso zur Plakatierung in der Untergrundbahn wie zur feudalistischen Heraldik des Firmenzeichens, gelb auf rot. Das Farbsignal stärkt das Vertrauen in das krisenfeste Imperium der reinen Hamburger: Ist die Insel auch im Fleische sündig, hier bleibt die Welt heil und schenkt den Zweiflern zudem eine vegetarische Variante. Zwei Wochen später, nach dem ersten Schock, war auch die Rübe wieder verschwunden und das Angebot der Ketten-Restaurants lediglich um Vegetables Deluxe erweitert. Auf irgendwelche Angaben über die Herkunft des Rohstoffs scheint sich die Firma gar nicht erst einzulassen. Auch nach harten Prüfungen lebt die M-Gemeinde aus dem unerschütterlichen Glauben. Die Konkurrenz von Burger King, in der Baker Street direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite, propagiert dagegen «our new beef». Sie versichert seinen Kunden auf einem Plakat am Eingang, daß sie zwar wie die Regierungserklärungen in die Sicherheit des britischen Rindfleisches vertraue, jedoch wegen des Schwundes an Vertrauen, wegen des Geschäftsinteresses und wegen der Sicherheit der Arbeitsplätze bis auf weiteres nur nicht-britisches Rindfleisch verwende. Sicher ist das Wort sicher.

Wo Mc Donald's das Gemüse entdeckt, kann man auch Heilige Kühe schlachten. Der Pferdemetzger Bob Walker bot in seinem Laden in Smethwick, West Midlands, ein Pfund Pferdesteak für 50 Pence an, und die Leute kauften, wenn auch zögernd. «Ich erwartete protestierende Tierschützer am Morgen, aber keiner war da», sagte er zum Independent, der dazu gleich ein Rezept abdruckte. Obwohl «Pferde für die Engländer zum Draufsitzen und zum Spielen da sind», «trade was booming yesterday at one of the first horse meat shops to open in Britain since the war».

Hätte der Begriff Paradigmenwechsel nicht inzwischen seinen Sinn durch Banalisierung verloren und eine Beliebigkeit wie beim Zappen durch die Programme gewonnen, dann wäre er hier angebracht. Denn zur Emblematik von John Bull gehört das Beefsteak wie die Pferdezucht. Nur Beefeaters waren in der Lage, die Herzkammer des Imperiums, den Tower mit seinen prominenten Häftlingen und seinen prominenten Kronjuwelen, vor jeder Eroberung zu schützen. Der Hochadel ließ nicht nur sich und seine Familie, sondern auch seine Lieblingsrösser portraitieren. Wenn das Kraftsymbol dahinsiecht und man anfängt, als Ersatz das Machtsymbol aufzuessen, geht der bevorstehende Verzicht auf Honkong und auf die eigene Währung direkt auf den Magen.

Wir spüren, daß solche Vorstellungen nur einer Häme aus Zentraleuropa entspringen können und daß sie eine nicht weniger ergiebige Paraphrase auf die deutsche Schweinepest verdienen. Dabei könnte man sich ausmalen, seinerzeit hätten niedersächsische Skinheads und sonstige Teutonen die Chaostage in Hannover vorgezogen, um eine völkische Spanferkelorgie zu veranstalten und dabei trutzig die Sau rein- und rauszulassen, ein recht bekanntes Paradigma.

Wenn wir beim Konjunktiv bleiben, wäre der insulare Stolz, der Zorn gegen Massentierhaltung und Großschieberei, der Trotz gegen die hilflose Regierung und gegen die marktschreierisch marktlähmenden Medien nicht zu übersehen — ein Begleitphänomen, vielleicht eine Erklärung für den spontanen Erfolg von Beefeater's: das lose Netz neuer Lokale, wie wildwüchsig über Nacht entstanden, improvisiert vor allem in leerstehenden Werkstätten verschiedener Stadteile, besonders in den Randbezirken und im lebendigen Eastend. Beefeaters Angebot: alle Köstlichkeiten, die das Rind und die internationale Kochkunst hergeben, zum halben Preis und vom Fleisch einheimischer Biobauern. Mit Adresse und Einladung zum Stallbesuch, oft auch zum Urlaub oder zur Saisonarbeit. Und natürlich Atmosphäre. Im Londoner Eastend soll es übrigens zur Zeit so viele Künstler geben wie sonst weltweit nirgendwo auf dem selben Raum. Auguren wissen ja, daß sich die junge, dynamische, zukunftsweisende und auch politisch bewußte Szene jetzt hier, nicht mehr in den luxuriösen Kartellen von New York, Paris oder Düsseldorf findet.

Thomas Zacharias

Laubacher Feuilleton 18.1996, S. 4
 
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Beefeater
Kjetil Bjørnsrud 2002






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