lrrlichtende Eisbrecher

Lieber Paul,
lange, lange Zeit ist vergangen, seit Du mich als Deine zweite Vahiné in Deine Hütte mitgenommen hast, mich die Wärme Deines französischen Körpers hast spüren lassen und ich Dir mit Monoi die gerötete Haut gekühlt habe, ihr den zarten Schimmer des Himmels über den Marquesas eingerieben habe. Heute lieben die Menschen diesen matten Glanz auf Deinen Bildern, die in den größten und schönsten Museen der Welt hängen. Diese Welt, wenn Du sie sehen könntest! Sie ist klein geworden! Alles, sagen wir fast alles, hat sich verändert, nur die Liebe zu Dir ist immer noch dieselbe geblieben. Ich bin viel gereist in diesem Leben, das immer noch andauert und nicht enden will, auch an Orte, in Länder, die Du nie gesehen hast, oder nicht sehen wolltest.

Paul, ich bin in Deutschland. Ich schreibe Dir diese Zeilen in einer grauen Dezembernacht, in der sich die Schwärze der Nacht nicht gegen die schlierig-grauen Wolkenschwaden durchsetzen kann. Die Stimmung paßt zu dem Land, in dem sie Deine Bilder lieben. Fünf Jahre nachdem Du mich und uns alle für immer verlassen hattest, schrieb ein deutscher Maler, Emil Nolde, über Dich, Cézanne und den Freund Van Gogh, daß Ihr Eisbrecher gewesen seid. Ihr Franzosen, sagte er, hättet mit allem Alten aufgeräumt, ja, ohne Euch wäre alles nicht so gekommen, wie es kam. Sie, die Deutschen, waren fasziniert von Deinen Entdeckungen des Primitiven. Pechstein, hast Du ihn gekannt — ich glaube nicht, da warst Du schon tot —, reiste nach Palau, Deinetwegen.

Sie waren schwärmerische Menschen, nein, sie sind es. Heute abend habe ich sie wieder einmal, vielleicht das erste Mal, erlebt, diese schwärmerischen Menschen, immer auf der Suche nach der Wärme und dem Licht des Südens. Unglaublich?! Sie versammelten sich im Keller eines Hauses, das einmal eine Lagerhalle war.

Nivea, ein uns vertrauter Klang, nicht wahr, wurde früher darin gelagert. Nivea nennen sie eine weiße Crème, um ihre weiße Haut geschmeidig zu halten, sie vor der Sonne, die sie so sehr suchen, zu schützen. Nivea! — Paul, ich erinnere mich immer mehr an Dich und Deine Süße, Deine Wärme, mon cher Paul. — Sie reisten von weit her zu dieser Halle. Menschen, wie Du sie zu Tausenden gekannt und getroffen hast. Diese Menschen, die zur Welt der Künstler und oft nicht so sehr zur Welt der Kunst gehören. Drei junge Männer in Lederkluft, wilde Gesellen, habe ich auf der Landstraße aufgelesen und sie mit zu der Kunst genommen. Ich glaube, sie waren verblüffter und erstaunter als ich, daß ich unseren Geboten der Freundschaft immer noch gehorche und sie ohne zu zögern in mein Auto habe steigen lassen. Punaania ist weit weg.

Und wir gingen gemeinsam den Weg zur Kunst, viele Stufen in den Keller hinab. Schwüle Kälte in dem großen Raum.

Viele Menschen, wenige Bilder bevölkern ihn. Hubertus Reichert ist da. Der ernste jüngere Mann setzt Farbflächen zueinander, stellt sie nicht gegeneinander. Blossfeldts berühmte Urformen des Lebens haben ihn inspiriert, eine davon hat er in seine Flächen integriert. Eine gewisse spröde Sinnlichkeit sind diesen Bildern nicht abzusprechen, wie der Maler eben selber ist. Ein seltsam lrrlichtender der Szene, er ist wirklich sehr bekannt geworden, hat seine Leinwand vorbeigeschickt. Wilde, lose Gitterformationen hat er hingeworfen auf das Bild, mit großer Geste eine wohl nur vorüberhende Leere dokumentiert. Ein seltsames Geschöpf dieser Maler, Photograph und Bildhauer, ein Liebling der Mondänen. Aber er ist ein guter Künstler. Weißt Du, er ist wie — na, Du weißt schon, wen ich meine. Einer, der in die Tiefen des Absinth hätte fallen können. Ich habe Dir ja schon gesagt, daß sie diesen wunderbaren Stoff der Träume verboten haben. Ein Absinthlöffelchen von Dir wird auf irgendeiner Auktion jetzt versteigert. Vielleicht sorge ich dafür, daß er es erhält, der lrrlichternde. Dabei ist sein Name so real, Günther Förg, bizarr.

Andere Tiefen der Seele, dunkle Seiten, Abgründe, liebevolle Verquerungen erkenne ich in dem Schwarz, dem Rot, den Farben von Walter Vopava. Er wirkt dunkel, geheimnisvoll wie seine Bilder. Sie lieben ihn alle — ich meine, er hat ein sehr volles Herz.

Verzeih, ich schweife ab, das Herz der Männer interessiert Dich sicher nicht. Mich manches Mal, Du kennst mich, Geliebter.

Absinth, der Absinth will mich nicht verlassen. Als hätte er Deine Gemälde, Deine Sicht der Dinge und der Sinne in wirren, wilden Absinthräuschen verzerrt, gedreht, gepreßt, zum Schmelzen gebracht.

Ein Schweizer — hör' auf zu schreien, wohl weiß ich, daß Du sie nicht magst, sie alle Calvinisten geschimpft hast —, hat das wunderbare Bild geschaffen. Wohl haben ihn die Erinnerungen an die Absinthbrennereien in seinem Zuhause bei Besançon die Sinne vernebelt. Hätte er doch die herrlichen Zeiten gekannt, von denen Du mir so viel erzählt hast. Seine Bilder wären anders geworden, besser bestimmt nicht.

Ach Paul, ich kann das mit Dir nicht vergessen. Nie. Ich schwöre es. Die Stille, die Ruhe, die ich mit Dir nicht gekannt habe, die habe ich jetzt genug.

Schluß. Ich rede ja wie eine alte, erfahrene Frau.

Die flirrende Schwüle meiner Heimat habe ich an diesem Abend im Keller gefunden, und die Stille, das Glück der Ruhe. Wunderbar hat Bernd Zimmer erkannt, was uns wichtig war. Warum Du hierher gekommen und geblieben bist. Gemalt und an die Wand genagelt, hängt es da. Wer es nicht wußte, erkannte es nicht. Dein Grab, Paul.

Nicht süßlich, nein, dunkel und geheimnisvoll zugleich erscheint der Stein, unter dem Du liegst, und die Azaleen, Palmen, Blumen und Ranken unserer schönen Insel. Die Sonne geht unter, rot leuchtet der Himmel. Wie ein Fanal der Liebe über den Tod hinaus. Ach Paul, sähest Du mich jetzt unter dem grauen Dezemberhimmel sitzen, Du würdest Dich meiner erbarmen und mich in Deine starken Arme nehmen.

Pau'ura a Tai

Anne Maier

Kurzschrift 1.1999, S. 17–20; Erstdruck in: PlantSüden, herausgegeben von Roland Hagenberg und Bernd Zimmer, Tokio — Polling
 
Di, 10.03.2009 |  link | (1887) | 1 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Kunst und Gedanken


edition csc   (10.03.09, 03:19)   (link)  
Anne Maier
(* 1955) hat ihre schweizerische Kindheit quasi im Berner Stadttheater verbracht, weshalb sie konsequenterweise in Paris im Umfeld von Ariane Mnouchkine die Schauspielerei erlernen mußte, um anschließend noch eine Zeitlang auf dem vielzitierten Karren wie weiland Molières troupe de théâtre durch die französische Provinz zu tingeln. Nach ihrem Umzug in deutsche Lande hat sie Politische Wissenschaften studiert und wurde, nicht minder naheliegend, Kultur- und Kunstpublizistin und später auch Ausstellungskuratorin. In ihrem Wohnort war sie zudem verantwortlich für Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Art Forum Berlin. Seit 2008 ist sie am Haus der Kulturen der Welt für die Pressearbeit zuständig.






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