Materialistische Kommunikation

Dann besuchten wir die Sprachschule, wo drei Professoren über die Verbesserung ihrer Landessprache Beratungen abhielten. Die erste Maßnahme sollte darin bestehen, daß man mehrsilbige Wörter in einsilbige verwandelte und Verben sowie Partizipien ausließ, den im Grunde seien ja alle wahrnehmbaren Dinge Substantiva. Der nächste Schritt solle die Abschaffung aller Wörter überhaupt sein. Dies wurde in gesundheitlicher Hinsicht wie auch aus Gründen der Kürze für sehr vorteilhaft angesehen, denn jedes Wort, welches wir aussprechen, bringt ohne Zweifel in gewissem Umfange eine Verminderung unserer Lunge durch Verschleiß und damit eine Beeinträchtigung unserer Lebenskraft mit sich. Da jedes Wort den Namen eines Gegenstandes darstelle, so schlug man als empfehlenswerten Ausweg vor, jeder solle solche Dinge bei sich tragen, die er benötige, um sich über die Geschäfte verständlich zu machen, die er besprechen wolle. Diese Erfindung wäre zweifellos zum besten des allgemeinen Gesucdheitszustandes eingeführt worden, hätten nicht die Frauen gemeinsam mit dem Pöbel und anderen ungebildeten Leuten mit einer Revolution gedroht, wenn ihnen nicht freigestellt bliebe, sich beim Sprechen ihrer Zunge zu bedienen, wie sie das von ihren Vorfahren her gewöhnt seien. Das Volk ist eben ein Feind aller Wissenschaften. Immerhin haben sich schon zahlreiche der Gelehrtesten und Weisesten zu der Methode entschlossen, sich mit Gegenständen auszudrücken. Dies bringe allerdings die eine Unbequemlichkeit mit sich, daß ein Mann, dessen Geschäfte sehr umfangreich und mannigfaltig sind, ein verhältnismäßig großes Bündel auf seinem Rücken herumschleppen muß, wenn er es sich nicht leisten kann, sich von einem oder zwei kräftigen Dienern begleiten zu lassen. Oft habe ich zwei dieser Weisen beobachtet, wie sie gleich Hausierern in meiner Heimat unter der Last ihrer Bündel beinahe zusammenbrachen. Wenn sie sich dann auf der Straße begegneten, legten sie ihre Last ab, öffneten ihre Säcke und unterhielten sich eine Stunde lang miteinander. Dann packten sie ihren Kram wieder ein, halfen sich gegenseitig, ihr Gepäck wieder aufzunehmen und verbschiedeten sich voneinander.

Für kurze Gespräche kann man seinen Bedarf in der Tasche oder unter dem Arm mit sich führen. Zu Hause aber kann niemand in Verlegenheit kommen. Deshalb ist ein Raum, wo sich eine Gesellschaft zusammenfindet, die sich auf diese Art unterhalten will, mit den verschiedensten Gegenständen angefüllt, die griffbereit umherliegen und als Hilfsmittel für eine solche künstliche Unterhaltung dienen.

Ein anderer großer Vorteil, den diese Erfindung mit sich bringt, ist der, daß sie als Weltsprache dienen kann und von allen zivilisierten Nationen verstanden wird, bei denen Materialien und Gebrauchsgegenstände sich gleichen oder doch so ähnlich sind, daß wir die verschiedenen Gewohnheiten leicht erraten können. So sind Gesandte in der Lage, ohne Schwierigkeiten mit fremden Fürsten oder Staatsministern zu verhandeln, deren Sprache sie nicht verstehen.

Jonathan Swift

Gullivers Reisen in ferne Länder, übersetzt und herausgegeben von Richard Mummendey. Mit freundlicher Genehmigung der Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main 1964, S. 254 – 256

Laubacher Feuilleton 3.1992, S. 1

 
Di, 09.12.2008 |  link | (1315) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schrift und Sprache






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