Politik der Soßen

Die Wertlosigkeit des Redens

Ein Rhetor aus dem Altertum definierte seinen Beruf einmal so: «Kleine Dinge groß erscheinen lassen.» [...]

Die Schönheitskünstler, welche die Frauen herrichten und schminken, richten weniger Schaden an als solche Wortverdreher. Ist doch wenig verloren, wenn man die Frauen nicht so sieht, wie sie wirklich aussehen; während die anderen sich direkt rühmen, daß sie uns täuschen, daß sie nicht bloß unsere Augen, sondern unser Urteil vernebeln und daß sie das Wesen der Dinge verdrehen und entstellen. In den Staaten, deren gute Politik und Verwaltung sich lange hat halten können, wurde auf die Redner wenig gegeben. Ariston definiert die Rhetorik treffend als «Wissenschaft, wie man das Volk überredet». Sokrates nennt sie in Platos Gorgias «Die Kunst zu täuschen und zu schmeicheln» [...] Sie ist nur ein Mittel zum Zweck. Zum Beispiel kann man damit eine aufgeregte Volksmenge dahin bringen, wohin man will, oder sie aufhetzen. Man braucht sie nur für kranke Staaten, wie man die Medizin nur für kranke Menschen nötig hat. [...]

Die Redekunst hat in Rom zu der Zeit in der höchsten Blüte gestanden, in der die Politik am unsichersten war und in der sie dauernd vom Bürgerkrieg bedroht wurde: wie das Unkraut am meisten auf solchen Feldern wuchert, die brachliegen und nicht richtig in Kultur gehalten werden. Es scheint deshalb, daß die Staatsformen mit monarchischer Spitze die Redekunst weniger nötig haben als die anderen. Denn ein einzelner kann vor der Wirkung dieses Giftes durch Erziehung und Beratung leichter geschützt werden als eine Volksmenge, die leicht umzustimmen ist. Sie läßt sich, sozusagen an den Ohren, durch die verführerischen Klänge dieser Kunst hierhin und dorthin führen, und es gelingt ihr dabei nicht, ruhig abzuwägen und durch vernünftiges Nachdenken zu ermitteln, was richtig ist.

Mein Thema paßt auch auf einen Italiener, dem ich vor kurzem begegnet bin; er war beim Kardinal Caraffi bis zu dessen Tode als Haushofmeister beschäftigt gewesen. Ich bat ihn, mir etwas über dieses sein Amt zu berichten. Da hat er mir einen langen Vortrag über diese Maulwissenschaft gehalten, so feierlich und dozierend, so als wenn er ein tiefes theologisches Problem zu behandeln gehabt hätte. Zum Beispiel hat er mir aufgezählt, was für verschiedene Appetite es gibt, etwa vor dem Essen und nach dem zweiten oder dritten Gang; dann, wie man diese verschiedene Art Appetit in Rechnung stellt; einmal soll es nur gut schmecken, ein andermal appetitanregend, und dann wieder appetitreizend sein; dann kam die Politik der Soßen; erstens Soßen im allgemeinen; zweitens die Zutaten im besonderen, wie sie einzeln beschaffen sein müssen und wie sie auf das Ganze der Soßen wirken; es folgte das Kapitel über die Salate und ihre Unterarten, eingeteilt nach Jahreszeiten, oder danach, ob sie warm oder kalt serviert werden müssen, schließlich danach, wie sie äußerlich hergerichtet und auch für das Auge lockend gestaltet werden können. Hernach verbreitete er sich über die äußere Ordnung der Mahlzeiten: Decken, Reihenfolge der Gänge usw., wieder durchsetzt mit schönen und tiefen Sprüchen; und das alles in einer aufgeblasenen, hohen und großartigen Sprache und mit Benutzung derselben Ausdrücke, die am Platze sind, wenn man über die Regierung eines Reiches spricht. [...]

Michel de Montaigne (1533 – 1592)

Aus: Die Essais, hier: Dieterich'sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1953; Lizenzausgabe für den Carl Schönemann Verlag, Bremen, übersetzt und hrsg. v. Arthur Franz

Laubacher Feuilleton 1.1992, S. 12

 
So, 12.10.2008 |  link | (1505) | 0 K | Ihr Kommentar | abgelegt: Schrift und Sprache






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